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Channel: Biennale – Cluverius
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ES GRÜNT SO GRÜN

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Die Architekturbiennale in Venedig steht unter dem Motto „Wie werden wir zusammen leben?“ ganz im Zeichen von Nachhaltigkeit. Merkwürdig: Landschaftsarchitektur spielt dabei kaum eine Rolle

© Cluverius

Eine Biennale ist immer „grün“ – Zugang zum Hauptpavillon in den Giardini

Venedig – Das ist eine Biennale der leisen Töne. Wer spektakuläre Bauten sucht, die in den vergangenen Jahren weltweit Aufsehen erregt haben, wird enttäuscht werden. Auch fehlen die sogenannten Archistars, die Calatrava oder Libeskind, die Herzog & De Meuron oder Piano. Auf der 17. Architektur Biennale Venedig, die jetzt mit einem Jahr verspätet fürs Publikum geöffnet wurde, geht es nachdenklich und nachhaltig zu. How will we live together? lautet das zukunftsweisende Motto, das sich ihr Direktor Hashim Sarkis bereits in der Vorbereitung für die wegen der Pandemie dann verschobene Ausstellung gewählt hatte. Durch Covid 19 hat es noch an Brisanz gewonnen.

© Jacopo Salvi/Biennale Venezia

Direktor der Architekturbiennale 2021: Hashim Sarkis, geboren in Beirut, lebt in Boston (USA)

Der 57jährige Libanese, der in Harvard Architektur studiert hat, betreibt ein eigenes Studio mit Sitz in Beirut und Boston und leitet in Boston auch die School of Architectures and Planing des bedeutenden Technologieinstituts MIT. Ja, wie wollen wir zusammen leben, fragt er und hat Architekten aber auch Bauingenieure, Biologen, Bautechniker und Fachleute aller Art eingeladen, um über solidarisch und nachhaltig geprägte Räume nachzudenken, in denen Menschen trotz Klimawandel, trotz sozialer und politischer Konflikte und Migrationsbewegung „großzügig und friedlich“ mit einander umgehen und einen „Pakt mit dem Raum“ schließen – und mit der Natur.

Von der Natur lernen

Das ist das Stichwort. Auf der Biennale grünt das Grün. Viele der 112 Teilnehmer aus 46 Ländern haben in der Hauptausstellung in den Giardini und dem Arsenale diese Anregungen aufgegriffen. „Von Natur lernen“ heißt ein Wohnprojekt aus dem rumänischen Cluj-Napoca. Ein Programm in Caracas (Bolivien) möchte die reiche Spontanvegetation einer Favela vor der Sanierung retten. Balkongrün weckt einen Wohnturm („Stone Garden“) in Beirut zum Leben. Ökologische Stadt-Träume („Urban Dream“)kommen aus China. Stadt und Wald versuchen in Manaus am Amazonas einen neuen „Vertrag“ zu schließen. Für Eurozentrik ist auf dieser Biennale kein Platz, viele Aussteller kommen aus Afrika, Asien oder Lateinamerika. Wobei manches allerdings kopflastig und sehr theoretisch wirkt.

© Cluverius

Neues Bauen ohne Beton – das Maison Fibre aus Stuttgart

Ganz handfest präsentiert sich dagegen das neue Denken am Bau beim Institut für computerbasierendes Entwerfen und Baufertigung (ICD) in Zusammenarbeit mit dem Institut für konstruktives Entwerfen (ITKE), einem Exzellenz-Cluster an der Universität Stuttgart. Robotisch gefertigte Bauelemente aus Fasern sind dem Beton als ein alles umfassender Baustoff der Moderne überlegen und können ihn in naher Zukunft ersetzen. Davon sind jedenfalls der Ingenieur Jan Knippers und der Architekt Achim Menges überzeugt. In Venedig zeigen sie ihre bis in den ersten Stock begehbare Installation „Maison Fibre“, die eindrucksvoll den Mittelgang des Arsenals beherrscht, in Abgrenzung zu Le Corbusiers betonseliger Bauikone „Maison Dom-Ino“.

Die Sinnlichkeit von QR-Codes

So nachhaltig sich viele Projekte geben, so wenig emphatisch bleibt oft die Kommunikation, die ganz vom Analoge ins Digitale wechselt. Das gilt auch für die 63 Nationalbeiträge in den Länderpavillons – zum ersten Mal dabei sind diesmal Grenada, Aserbaidschan und Usbekistan.

© Cluverius

Leergeräumt – der deutsche Pavillon, das digitale Leben…

© Cluverius

… spielt sich zwischen QR-Codes in den Nebenräumen ab 

Informationsblätter werden durch links, Ausstellungsstücke durch QR-Codes ersetzt. Auf die Spitze getrieben hat das der vom Bundesministerium für Intern, Bau und Heimat verwaltete deutsche Pavillon unter dem Titel „2038 -The New Serenety“. Die „neue Gelassenheit“ wird in einem Pavillon präsentiert, der absolut leer ist, kein Ausstellungsmodell, keine Vitrine, kein Bild, nicht einmal ein Stuhl, absolut nichts – nur an den Wänden der Nebenräume große schwarze QR-Codes. Die verweisen auf rund 60 Videos von Dutzenden Mitarbeitern, die nach Einladung eines Kuratorenteams um Arno Brandlhuber und Olaf Grawert futuristisch vom Jahr 2038 unter dem Motto „es ist alles noch mal gut gegangen“ aufs Heute und seine Probleme in aller Gelassenheit zurückblicken: auf Bodenfragen und die Verfügung von Bauland, auf die Spannungen zwischen Ökonomie und Ökologie, auf Fragen von Solidarität und Wettbewerb. Die Videos sind ebenso wie Chats etc auch über das Internet (hier) abrufbar. Der Pavillon ist so nach dem Willen der Macher weltweit geöffnet für alle die, die nicht nach Venedig kommen können. Doch führt man dadurch eine Veranstaltung wie die Biennale nicht ins Absurdum? Natur ist zum Glück analog, nicht digital.

© Cluverius

Grüne Wiederauferstehung („Refuge for Resurgence“): Pflanzen, Tiere, Menschen, Pilze und Moos an einem Tisch  – symbolische Installation aus Indien

Im dänischen Pavillon denkt man gelungen über Wasserkraft nach, im Schweizer über Grenzen, im italienischen über „Exaptation“ und die Verwendung von Architektur entgegen ihrer ursprünglichen Funktionen. Die USA bauen eine traditionelle Holzfassade vor ihr Gebäude und Israel variiert das Thema „Land. Milk. Honey“ vom biblischen Land, wo Milch und Honig fließen. Palästina hat keinen eigenen Pavillon, aber Hashim Sarkis hat eine Untersuchung über die Landwirtschaft in Khuza’a im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Gaza-Streifen eingeladen. Gezeigt wird ein langer, raumfüllender Tisch, der die Geschichte dieses Fleckchen Erde und die Nutzung ihres Bodens von der Kolonisierung, über die Gründungs Israels, über Kriege und Aufstände bis heute zu neuen Kriegen zwischen Tomaten, Wassermelonen und Bomben erzählt. Eine Untersuchung der Foundation for Achieving Seamless Territory (FAST) aus den Niederlanden, den USA mit Unterstützung der Familie Qudaih aus Palästina.

Die Welt verstehen und sich den Problemen stellen

Demokratie, so sagt Sarkis in einem Interview, sei für ihn nicht nur ein politisches System, sondern „eine Art, die Welt zu verstehen, sich ihren Problemen zu stellen in dem Bewusstsein, dass es nie eine einzige Antwort geben kann auf Fragen wie How will we live together.“ Emblematisch: ein Zelt aus gewebten Stoffbahnen des Lagers Al Azraq (Jordanien) für Flüchtlinge aus Syrien unter dem Titel „Displaced Empire“ (verdrängtes Reich). Heile Welt darf man auf dieser Biennale nicht erwarten.

© Cluverius

Bei Tisch – die Geschichte des Gaza-Streifens 

© Cluverius

Flüchtlingsbehausung – Zelt aus traditionellen Stoffen im Al Azraq Refugee Camp (Jordanien), wo 35.000 Vertriebene aus Syrien leben

Grün spielt eine Hauptrolle auf dieser Biennale, Rem Koolhaas hatte es jedoch in einer großen Ausstellung im New Yorker Guggenheim Museum (Februar 20/Februar 21) noch weitergehend formuliert: Countryside, The Future. Sollen wir also alle aufs Land ziehen? Nein, Landschaft zieht in die Stadt, Natur moderiert auch urbane Entwicklungen. Es kann aber nicht genügen, Natur für eine menschliche Architektur zu nutzen, wie es viele Projekte dieser Biennale vormachen. How will we live together? Es muss doch darum gehen, den Menschen wieder mit Natur zu verbinden und zu versöhnen. Dafür braucht es mehr als grüne Bauwerke. Dafür braucht es ein neues Denken in produktiven Landschaften. Dafür braucht es Landschaftsarchitekten, die merkwürdigerweise auf dieser grünen Biennale nur wenig vertreten sind.

XVII Biennale Architettura 2021 „How will we live together?“,Venedig, Giardini della Biennale, Arsenale und Forte Marghera bis 21. November. Tgl. außer Mo 11- Uhr 19 Uhr (bis 31. Juli) bzw. 10-18 Uhr (1.August bis 21. November). Eintritt 25 Euro (20 Euro over 65, 16 Euro under 26) nur nach Vorbestellungen online (an Wochenenden mindestens 1 Tag zuvor). Alle Infos hier. Katalog (englisch oder italienisch) 80 Euro, Kurzführer 18 Euro.

Der Beitrag ist (hier) in einer kürzeren Fassung in der Stuttgarter Zeitung am 22.5.21 erschienen


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